So viel erster Mai war noch nie
Maibaumschwemme nach Corona: Vier Geschichten rund um den liebsten Baum der Bayern
Schepsen und hobeln im Akkord. Vereine und Dorfgemeinschaften fiebern auf den ersten Mai hin. Nach der Corona-Zwangspause dürfen sie endlich ihre Maibäume aufstellen. Ein Verein lässt sich aber noch Zeit.
München - Ein bayerisches Dorf wie aus dem Reiseführer. Lüftlmalerei und hölzerne Kruzifixe überall. Und trotzdem: Ein Maibaum stand in Oberammergau (Kreis Garmisch-Partenkirchen) noch nie. „Wir wissen nicht, warum“, grübelt Florian Maderspacher. Im Dritten Reich gab es mal einen – mehr Ideologie als Tradition. „Ansonsten war der Ort mit Theater, Passion und dem König-Ludwig-Feuer wohl immer zu beschäftigt.“
Am Sonntag ändert sich das. 28 Meter hoch, naturbelassen und mit Taferln geschmückt, thront dann der erste Maibaum über dem Ammergauer Haus. „Vor einer Woche stand die Fichte noch auf dem Laber“, sagt Maderspacher. Mit 100 Burschen will der 26-Jährige sie senkrecht in die Luft stemmen. „Das Aufstellen per Hand dauert drei bis vier Stunden“, schätzt er. Genau weiß er es nicht, es ist ja das erste Mal.
Oberammergau: Junggesell*innenverein stellt den ersten Maibaum auf
Nicht nur der Maibaum ist ein Novum in Oberammergau. Auch der Verein, der ihn gemeinsam mit der Freiwilligen Feuerwehr, dem Trachten- und dem Musikverein aufstellt. „Unseren Junggesell*innenverein haben wir 2020 gegründet“, erzählt Antonia Schweiger. Die 19-Jährige ist angehende Kinderkrankenschwester und sitzt im Vorstand des neuen Vereins. 80 Mitglieder hat der schon. Das Besondere: „Mädels und Burschen sind vertreten.“
Als die jungen Oberammergauer den Verein mitten im Lockdown virtuell gründeten, hatten sie ein Ziel: „Ein Maibaum muss her.“ Wochenlang haben Maderspacher, Schweiger und die restlichen Junggesell*innen deshalb auf den 1. Mai hingefiebert. Das Projekt hat den jungen Verein nach der langen Corona-Zwangspause zusammengeschweißt. „Adrenalin liegt in der Luft“, schwärmt Schweiger. Ihr Dirndl hing ewig im Schrank, jetzt kommt es wieder zum Einsatz. „Am Wochenende rührt sich mit der Maibaum-Feier und der Jugendpassion hier wirklich brutal viel.“
Obwohl sie laut Vereinssatzung dürften, packen die Mädels heuer beim Aufstellen nicht mit an. „Wenn der erste Maibaum zum 1. Mal aufgestellt wird, lassen wir lieber die Männer ran“, sagt Schweiger und lacht. „Wir unterstützen moralisch – mit viel Kuchen und Grillfleisch.“ Wenn der Maibaum steht, haben die Junggesell*innen schon ihr nächstes Ziel im Blick: „Ein gscheid’s Festl mit Bierzelt“, sagt Maderspacher. Wieder ein Novum im Passionsdorf. „Warum nicht Neues ausprobieren? Der Ort wird vielfältiger – und uns geht es um Zusammenhalt.“
Oberbayerns Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler im Interview: „Maibäume stehen für Aufbruch“
Zum ersten Mai läuft‘s gut: Grafinger Wildbräu im Lieferstress
„Die Leute haben wieder Lust zum Feiern“, sagt Johannes Hartwig. Er ist Braumeister beim Grafinger Wildbräu im Kreis Ebersberg. Für die Brauerei bedeutet der 1. Mai „deutlich mehr Aufträge als vor der Pandemie, einfach, weil sich so viele Feiern aufgestaut haben“. Normalerweise liefern die Grafinger Bier und Equipment wie Kühlwagen, Sonnenschirme, Gläser und Biergarnituren für drei bis vier Maibaumfeiern sowie die dazugehörigen Wachstüberl. Heuer sind es sechs Feste, die sie direkt beliefern und zwei Partner, für die sie die Getränke liefern. Auch die Wachstüberl sind gut besucht. Ein bis zwei Paletten Bier, umgerechnet 450 bis 700 Liter, hat die Brauerei pro Stüberl verkauft – jede Woche. An den Wochenenden, wenn die Stüberl besondere Wachen abhalten, kommen laut Hartwig schon mal 500 bis 700 Liter dazu.
Rohstoffbeschaffung und Lagerhaltung seien für die Brauerei momentan eine Herausforderung, sagt Hartwig. Aber keine unlösbare. Trotz abgesagter Feste habe man auch während der Pandemie „immer guad zum doa“ gehabt. Wie viel Bier beim Aufstellen am 1. Mai weggeht, könne er schlecht sagen, sagt Hartwig. Der Bierdurst ist halt immer unterschiedlich. Geplant werde mit 3000 bis 4500 Litern pro Fest, je nach Zahl der Gäste. Die Sorge, dass die kleine Familienbrauerei nicht genug liefern könne, hat der Braumeister vom Wildbräu nicht. „Eigentlich läuft’s grad echt gut.“
Stolze Nachzügler: Trachtenverein aus Hohenfurch stellt Maibaum erst an Christi Himmelfahrt auf
Erster Mai – und der Maibaum liegt noch immer nackt im Wald. Der Trachtenverein von Hohenfurch (Kreis Weilheim-Schongau) geht heuer eigene Wege. „Es heißt ja Maibaum und nicht Erster-Mai-Baum“, sagt Trachtler-Chef Patrick Welz und lacht. „Wir freuen uns dieses Mal lieber auf Christi Himmelfahrt.“ Da stellen „D’Schwalbenstoaner“ ihren Maibaum nämlich auf. Eine Fichte, 25 Meter hoch, weiß-blau, mit 36 Schildern und einer goldenen Kugel an der Spitze.
Der Termin ist bewusst gewählt. „In der Region stellen dieses Jahr viele Vereine auf. Durch Corona hat sich was angestaut“, sagt Welz. Mindestens 30 Maifeiern finden statt. Kran-, Klo- und Spülwagenverleiher seien vielerorts ausgebucht, weiß der 29-Jährige. „Wenn wir erst am Vatertag aufstellen, können unsere Freunde aus den anderen Orten mit dabei sein.“
Nach zwei langen Jahren sind die 268 Trachtler froh, dass es wieder losgeht. Mit dem Schepsen haben sie schon begonnen. Stück für Stück Rinde tragen sie ab, bis der Stamm eben ist. „Den letzten Maibaum haben wir 2015 aufgestellt“, sagt Welz. 2019 musste er weichen. Ein Jahr wollten die Hohenfurcher ohne durchhalten und 2020 einen prächtigen „Jubiläumsbaum“ zu ihrem 100. Geburtstag aufstellen. „2021 hat es auch nicht geklappt. Da wird man frustig, wenn man ständig plant und doch wieder absagen muss.“
Umso wichtiger ist dem frisch gewählten Vorsitzenden der diesjährige, sein erster Maibaum. „Nach schweren Zeiten holt er das ganze Dorf aus dem Winterschlaf.“ Und so wollen die Trachtler auch weitermachen: „Wir müssen Präsenz zeigen, die Gemeinschaft beleben und die Menschen wieder aus ihrer Bequemlichkeit locken.“ Am 26. Mai fällt der Startschuss dafür. Hohenfurch muss seinen Baum also länger vor Räubern bewachen. „Er darf erst geklaut werden, wenn er nicht mehr im Wald liegt“, sagt Welz und lacht. „Wo wir ihn danach lagern, bleibt natürlich geheim. In einem Hochsicherheitsstadl halt, so viel ist schon sicher.“
Der Heisl-Kini von Miesbach: Kein Mai-Fest ohne stille Örtchen
Toiletten stellt Josef Bettschar gerade im Akkord auf. Der 59-Jährige vermietet mit seinen „00-Kinis“ mobile Klos im ganzen Oberland. „Mein Tag beginnt um vier Uhr, oft früher“, sagt er, während er vier „Komfort-Kinis“ und ein Sechser-Pissoir am Marktplatz in Miesbach ablädt. „Ohne stille Örtchen gibt’s ja kein Festl.“ Während der Pandemie hat Bettschar vor allem Baustellen beliefert. Jetzt, da die Festsaison wieder startet, mieten auch Gemeinden und Vereine wieder. „Wir merken, der 1. Mai steht vor der Tür. Wir bräuchten locker drei Fahrer mehr.“
Von Vagen bis Egling, von Bad Wiessee bis Straßlach fährt Bettschar seine Kinis aus. Überall werden am Sonntag Maibäume aufgestellt. Nach der Feier holt er seine Kinis wieder ab. Dann beginnt das Putzen. „Saubären gibt’s immer, meinen Job finde ich aber trotzdem schön.“ (sco/hgr)