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FCB-Trainerlegende Jupp Heynckes im Interview: „Man sollte sich nie überschätzen“

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Von: Hanna Raif

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Jupp Heynckes
Jupp Heynckes © dpa / Marc Müller

Triple-Trainer Jupp Heynckes spricht über das besondere Verhältnis zwischen ihm und dem FC Bayern, die Geheimnisse der Mannschaft - und sein persönliches Erfolgsrezept.

Herr Heynckes, Karl-Heinz Rummenigge bezeichnete Ihr Verhältnis zum FC Bayern als „fast schon sakrosankt“ –trifft es das?

Heynckes: Wir haben eine professionelle, aber besonders vertrauensvolle Zusammenarbeit gehabt. Mit Uli Hoeneß habe ich die EM und WM gespielt, aber mit Karl-Heinz habe ich sein erstes Länderspiel in Wales erlebt, ich war Stammspieler und er Neuling. Wir kennen uns sehr gut, haben Vertrauen zueinander. Ich sage genauso: Es ist ein besonderes Miteinander, etwas sehr Freundschaftliches. Es wurde immer enger.

Auch heute sind Sie ab und an als Berater beim FC Bayern* gefragt.

Heynckes: Ich habe bewusst keine beratende Tätigkeit übernommen, bin aber immer bereit, auf Anfrage meine Meinung zu den verschiedenen Themen zu äußern. Das ist doch ganz klar. Aber ich denke, dass so viele kluge Köpfe und kompetente Personen im Management-Bereich arbeiten, die wissen, was zu tun ist. Auch ohne meine Hilfe (lacht).

Wie viele Anfragen kamen denn seit Ihrem Abschied?

Heynckes: Wir haben immer mal wieder Kontakt gehabt. Das ist aber etwas, was nicht aus konkreten Themen oder Fragen resultiert, sondern daraus, dass wir einfach gelegentlich gerne miteinander reden. Das beruht auf Gegenseitigkeit.

Jupp Heynckes bedankt sich während seiner Verabschiedung als FC-Bayern-Trainer bei den Fans.
Jupp Heynckes bedankt sich während seiner Verabschiedung als FC-Bayern-Trainer bei den Fans. © picture alliance/dpa / Andreas Gebert

Wie viel Fußball ist noch in Ihrem Kopf? Oder konkreter: Wie viel FC Bayern?

Heynckes (überlegt): Ich bin natürlich nach wie vor an den Spielen in der Bundesliga und international interessiert, da dann besonders an den Spielen des FC Bayern. Je nach Spielverlauf bin ich emotional – ich möchte ja, dass der FC Bayern gewinnt. Da geht der Puls dann schon hoch.

Schauen Sie jedes Bayern-Spiel?

Heynckes: Fast jedes. Wenn ich nicht gerade verhindert bin. Aber es kann auch mal sein, dass es ein Zeitpunkt ist, wo ich etwas müde werde und einen Nachmittags-Schlaf mache. 15.30 Uhr ist da so eine schöne Zeit, wenn man frühmorgens aufsteht. Ich habe da manchmal ein Tief (lacht).

Sie kennen den FC Bayern* als Konkurrenten und später Heimatverein seit bald 60 Jahren. Wie hat sich der Klub verändert?

Heynckes: Der FC Bayern hat sich über viele Jahrzehnte zu einem „global player“ – so sagt man ja heute – entwickelt. Er ist nicht nur ein europäischer Spitzenverein, sondern ein Weltclub. Er ist immer besser geworden, sportlich wie wirtschaftlich, auf dem Platz wie in der Führung.

Ab wann wussten Sie, dass Uli Hoeneß ein Freund fürs Leben sein würde?

Heynckes: Die Freundschaft mit Uli hat sich über viele Jahre entwickelt und bis heute gefestigt. Ich habe erst kürzlich mit meiner Frau Iris darüber gesprochen: Wir waren bei der Firmung von Ulis Sohn Florian – das ist mehr als 30 Jahre her. Wir haben uns von der Nationalmannschaft gekannt und immer gut verstanden. Seit meinem ersten Engagement in München haben wir uns nie aus den Augen verloren. Heute ist die Freundschaft stärker denn je.

Was ist für Sie Freundschaft?

Heynckes: Sie fußt auf Vertrauen, Ehrlichkeit und Respekt. Und darauf, dass man weiß, dass der Freund da ist, wenn man ihn braucht. Für einen Rat, in jeder Lebenslage. Das trifft auf Uli zu – und umgekehrt genauso. Natürlich gibt es auch kontroverse Meinungen und Gespräche, das muss eine Freundschaft aushalten. Und auch, dass man sich die Meinung sagen kann, zu Dingen Stellung nimmt, mit denen man nicht einverstanden ist. Das ist auch zwischen Uli und mir schon vorgekommen. Trotzdem haben wir am Ende nie Differenzen gehabt, sondern sind immer wieder auf einen gemeinsamen Nenner gekommen.

Als Sie ein viertes Mal zurückkamen, sprachen Sie vom Freundschaftsdienst und sagten: „Man darf nie vergessen, wer einem mal hilfreich war.“ Wo wären Sie ohne den FC Bayern*?

Heynckes: Ich habe dem FC Bayern, dem Vorstand, aber besonders Uli Hoeneß meine nationale und – bedingt dadurch – meine internationale Karriere als Trainer zu verdanken. Ohne diese Chance wäre ich nie nach Spanien gekommen, nie zu Athletic Bilbao und Real Madrid, nie nach Portugal zu Benfica Lissabon. Deswegen habe ich das damals so gesagt: Man darf die Anfänge nie vergessen. Und auch nicht, wer entscheidend mitgeholfen hat, dass man seinen Weg gehen konnte.

Und wo wäre der FC Bayern ohne Sie?

Heynckes: Puh. Der FC Bayern hatte über viele Jahrzehnte überragende Trainer*, große Persönlichkeiten. Das hat immer funktioniert. Ich persönlich möchte meinen Anteil an der Erfolgsgeschichte des FC Bayern nicht beurteilen, mein Credo lautet: Jeder ist zu ersetzen. Wobei: Vielleicht hätten die Bayern nicht das Triple gewonnen (lacht).

Müssen Sie manchmal schmunzeln beim Reflex der Branche, wenn ein Bayern-Trainer gesucht wird: Holt Jupp Heynckes zurück!?

Heynckes: Ich finde das lustig, wie die Fans in den sozialen Medien damit spielen. Da muss ich schon schmunzeln über deren Einfallsreichtum. Das ist die eine Seite, die andere, dass ich das auch als Vertrauensbeweis sehe. Die Unterstützung der Fans ist immens wichtig, das habe ich schon immer gesagt. Deswegen muss man das im Kontext sehen, dass da mit meinem Namen ein paar Jokes gemacht werden.

Nett gemeinte Jokes.

Heynckes: Natürlich. Aber jeder, der normal darüber nachdenkt, wird zu dem Entschluss kommen, dass man mit 74 Jahren keine Mannschaft mehr übernehmen soll. Das, was ich vorher gemacht habe, war schon grenzwertig. Ich bin fit. Aber ich möchte auch fit bleiben. Und Zeit für mich haben, für meine Familie, meine Freunde und meine Hobbys. Nicht immer nur Verpflichtungen. Der heutige Fußball ist eine gewaltige Aufgabe für jeden Trainer. Da sollte man sich nicht überschätzen, das habe ich noch nie gemacht.

Sie haben vier Amtszeiten erlebt, die vollkommen verschieden waren. Fangen wir mit der ersten an, 1987 bis 1991, zwei Meisterschaften, und schon damals hieß es: „Eine außergewöhnliche Beziehung“. Was ist besonders hängen geblieben?

Heynckes: Für mich war es eine riesige Umstellung, vom beschaulichen Mönchengladbach nach München zu wechseln, in eine Medienstadt, in der ich auch noch lernen musste. Schon damals aber wusste ich: Wenn ich als Trainer die Schale holen will, muss ich wechseln. Mit dem FC Bayern habe ich 1989 die erste Meisterschaft als Trainer geholt, das war etwas ganz Besonderes.

War das 1991 die einprägsamste Entlassung, die nach fünf Minuten in einer Schafkopfrunde endete?

Heynckes: Das mag wohl sein. Wir waren damals im Ferienhaus am Tegernsee von Schatzmeister Kurt Hegerich. Karl Hopfner, Professor Scherer, Uli und ich. Fünf Minuten haben wir über die Vertragsauflösung gesprochen, dann haben wir die Schafkopfrunde eröffnet. Dann ist noch ein tolles Buffet aufgefahren worden, und wir haben ein Gläschen Rotwein getrunken. Das Ganze hatte sich schon in der Sommerpause abgezeichnet. Die Entlassung war für mich keine Überraschung.

Erzählen Sie!

Heynckes: Na ja, der liebe FC Bayern hatte mir die besten Spieler nach Italien verkauft. Jürgen Kohler, Stefan Reuter – Klaus Augenthaler hat zudem seine Karriere beendet. Wir hatten noch vier oder fünf schwere Verletzungen. Deswegen wusste ich, dass das sportlich nicht gut gehen konnte. Uli Hoeneß sagte ja schon oft: „Das war mein größter Fehler.“ Aber ich sage: Nein! Den Fehler hatten wir schon in der Sommerpause gemacht. Ich war mit mir im Reinen, hatte alles versucht, wusste aber: Da kannst du nichts machen.

Video: Trainerlegende Jupp Heynckes tritt ab

Sie kamen trotzdem zurück an die Säbener Straße, viele Jahre später. 2009 als kurzes Intermezzo – aber Sie hatten Blut geleckt, oder?

Heynckes: Das waren fünf Spiele, es ging um die Qualifikation für die Champions League. Von den fünf Spielen haben wir vier gewonnen und eins unentschieden gespielt. Am Ende waren wir Zweiter, es hat also alles funktioniert. Dann kam Rudi Völler und hat mir ein Angebot gemacht. Die zwei Jahre in Leverkusen hätte es ohne den FC Bayern vielleicht nicht gegeben. Und dann ist der FC Bayern wieder auf mich aufmerksam geworden…

Die dritte Amtszeit sorgte dann für den absoluten Triumph. 2012, ein Jahr zuvor, sah es noch anders aus. Gab es den Moment kurz nach dem verlorenen Finale dahoam, in dem Sie hinschmeißen wollten?

Heynckes: Nein. Nach 2012, wo wir drei Mal den zweiten Platz belegt hatten, habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet, aufzuhören. Im Gegenteil! Die Mannschaft, Staff, Trainerteam und ich haben wegen des verlorenen Champions-League-Finales eine nie da gewesene Motivation verspürt. Das zeichnet große Spieler aus – und so war ich schon in meiner aktiven Zeit. Aus Misserfolgen und Enttäuschungen habe ich die größte Motivation gezogen.

2013 wurden Sie in London aufgefordert, die Sau rauszulassen. Das fiel nicht schwer, oder?

Heynckes: Ehrlich gesagt ist das etwas, das ich nie mochte: mich präsentieren. Ich habe meine Erfolge immer im Stillen gefeiert, für mich selbst. Öffentlich mochte ich das nicht. Besonders in dem Trainerjob geht es doch immer weiter. Ich war nie ein großer Entertainer – oder Feierbiest, wie Louis van Gaal so schön sagt.

120 Jahre, ein Triple: Das ist kein Zufall, oder?

Heynckes: Bestimmt nicht. Aber warum hat das 2013 funktioniert? Weil alle riesig enttäuscht waren von 2012. Dieses Triple war der Mannschaft geschuldet, den Typen in meiner Mannschaft. Dieses Team war außergewöhnlich, was den Zusammenhalt, das Verhalten, die Disziplin betrifft. Wir haben so hart gearbeitet wie nie zuvor. Jeder muss jeden Tag alles abrufen, in jedem Training, taktisch wie physisch. Zudem hatten wir acht, neun Weltklasse-Spieler – da kann man das Triple schon mal holen.

Triple, Titel – Zahlen sind das eine. Spieler sprechen aber auch darüber hinaus von Ihnen oft als „der beste Trainer, den ich je hatte“.

Heynckes: Mein ganzes Team war außergewöhnlich, wir Trainer hatten blindes Vertrauen untereinander und zur Mannschaft. Wichtig war zudem, dass ich meinen Spielern auf Augenhöhe gegenübergetreten bin.

Haben Sie Beispiele?

Heynckes: Ich habe schon Spielern auf den Kopf zugesagt: Irgendwas stimmt nicht mit dir. Kann ich dir helfen? Du gefällst mir nicht. Die Spieler waren dann immer perplex, sagten aber meist: Das stimmt. Ich war schon immer ein guter Beobachter, das ist wichtig in diesem Job. Der Respekt gegenüber Menschen, dass man sich in die Situation anderer hineinversetzen kann. Das hat den Spielern geholfen. Das spielt heute eine ganz große Rolle. Das Menschliche ist in unserer heutigen Gesellschaft ja generell oft ein Problem.

Sie starteten als Trainer mit 34 Jahren und gingen mit 73 – wahrscheinlich ist diese Fähigkeit auch in Ihnen erst gewachsen.

Heynckes: Natürlich. Als Spieler war ich grenzenlos ehrgeizig, Fußball war mein Leben, meine Leidenschaft. So war ich als Trainer natürlich auch. Ich habe vieles erzwingen wollen. Mit der Zeit hat man so viel Erfahrung, dass man differenziert und vieles anders bewertet. Erfahrung ist unbezahlbar.

Wie schafft man es, sich selbst in dieser Branche und bei diesem Club nicht allzu wichtig zu nehmen?

Heynckes: Das liegt in meinem Naturell. Ich bin einen Tag nach Kriegsende geboren, als Junge habe ich auf vieles verzichten müssen. Es gab ja nicht viel. Ich war aber mit dem wenigen, was hier hatten, immer zufrieden. Die Bodenständigkeit und die Authentizität habe ich von zu Hause. Wir haben gegenwärtig fast acht Milliarden Menschen auf der Welt – da sollte sich der Einzelne nicht zu wichtig nehmen.

Früher war der Club der FC Hollywood, heute gibt es eine Smartphone-Generation. Sie hatten viel auch neben dem Platz zu tun, oder?

Heynckes: Der Zeitgeist heute ist ein ganz anderer. Die Spieler und ihre Betreuung sind heute insgesamt viel professioneller. Ich habe mit ihnen immer – und gerne – viele Gespräche geführt und mit jeder Generation mit großer Freude zusammengearbeitet. Jede war anders, hier und da war es schwieriger, insgesamt aber einvernehmlich. Und es ist auch kein Zufall, dass wir 2012 dreimal Zweiter geworden sind. Wir haben dieses Jahr gebraucht, um unsere Gemeinsamkeiten umzusetzen und unsere Zusammenarbeit zu perfektionieren. Dann hat es Klick gemacht, und wir wurden eine verschworene Einheit. Jeder hat seinen Egoismus hintangestellt.

Selbst Spieler wie Arjen Robben.

Heynckes: Natürlich, alle! Ich bin immer einer gewesen, der nach Verletzungen meiner Spieler sehr vorsichtig war. Einem Arjen Robben hat das nicht gefallen, der war ehrgeizig und sehr ungeduldig. Aber damit musste ich mich auseinandersetzen. Manchmal habe ich Bastian Schweinsteiger gesagt: „Basti, sprich du mit ihm!“

Viele Große sind unter Ihnen gewachsen. Auf welchen Spieler sind Sie besonders stolz?

Heynckes: Fordern, fördern, besser machen – das wollte ich bei jedem einzelnen Spieler. Toni Kroos nehme ich mal als Beispiel, der hat in Leverkusen den Durchbruch geschafft. Lothar Matthäus war als Spieler schon in Mönchengladbach bei mir. Jeder Spieler hat sich in den Phasen, in denen wir zusammengearbeitet haben, weiterentwickelt. Auch Mario Mandzukic, der wurde zu einem echten Mannschaftsspieler – das war symptomatisch für den Erfolg.

Lahm, Schweinsteiger…

Heynckes: Philipp Lahm, durch und durch ein Ausnahmespieler. Schweinsteiger, der sensibel war, der sich vieles zu Herzen genommen hat, auch Kritik. Ich habe viel mit ihm gesprochen, habe ihn aufgebaut. Nicht umsonst ist er heute das Idol der Bayern-Fans.

Wembley-Triumphator Heynckes 2013 in London
Wembley-Triumphator Heynckes 2013 in London © AFP / PATRIK STOLLARZ

Zum Abschluss: Ihr wichtigstes Spiel, Ihr schönster Sieg?

Heynckes: Das 3:1 in Köln 1989, das war gleichbedeutend mit der Meisterschaft, meiner ersten als Trainer. Das war auch für meine Karriere ein wesentlicher Schub. Und natürlich das Champions-League-Endspiel in Wembley gegen Dortmund 2013.

Ihr traurigster Moment?

Heynckes: Die Vokabel Enttäuschung passt da besser. Die Niederlage gegen Chelsea. Wir waren die klar bessere Mannschaft, aber wir waren noch nicht so weit. Zwei sichere Elfmeterschützen haben sich da weggeduckt, das war alles symptomatisch.

Und was wünschen Sie dem FC Bayern für die nächsten 120 Jahre?

Heynckes: 120 Jahre – das ist schon sehr lange. Aber für die nächsten Jahrzehnte: Dass sich die Erfolgsgeschichte des FC Bayern national wie international fortsetzt und der Verein – wie bislang vorbildlich – seinen sozialen Verpflichtungen nachkommt. Kommerz und Business sind wichtig in der heutigen Zeit, aber es gibt noch Wichtigeres: Die Eintrittspreise müssen für die Fans bezahlbar bleiben; und ein nobler und erfolgreicher Club wie der FC Bayern darf nie die Belange der anderen Vereine aus den Augen verlieren. 

Interview: Hanna Raif

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