Berlin - Die Reifen machen die Formel 1 zur Formel ratlos – und damit sorgen sie für die unberechenbarste und spannendste Saison seit langem.
Nach dem Großen Preis von Bahrain schüttelt selbst Sieger Sebastian Vettel den Kopf: „Es ist fast unmöglich, im Voraus zu berechnen, wie sich die verschiedenen Reifenmischungen am Renntag verhalten. Man hat eine gewisse Ahnung, aber mehr nicht.“
Wieso sich der amtierende Weltmeister als vierter Sieger im vierten Rennen dieser Saison in die Gewinnerliste eintragen konnte und plötzlich mit 53 Punkten die WM-Wertung anführt, ist ihm sogar selbst ein Rätsel. Denn das wäre nicht der Fall gewesen, wenn die Konkurrenz von McLaren nicht so geschwächelt hätte. Lewis Hamilton landete im Königreich in der Wüste am Ende nach zwei verpatzten Boxenstopps und falscher Reifenwahl abgeschlagen auf Platz acht, Jenson Button erging es noch schlimmer. Nach nur mäßigem Renntempo schied der Sieger des Auftaktsrennens in Australien kurz vor Schluss mit Motorproblemen aus – mehr als ein sechster Platz wäre aber auch unter normalen Umständen diesmal für den Reifenflüsterer, wie der Engländer wegen seiner reifenschonenden Fahrweise genannt wird, nicht möglich gewesen. „Ich weiß nicht, wo unser Speed hingegangen ist“, schüttelt der Brite frustriert den Kopf.
„Am Beispiel McLaren sieht man, wie unberechenbar diese Saison Ergebnisse vorauszusagen sind“, erklärt Vettel. „Plötzlich waren Lotus mit Räikkönen und Grosjean meine Gegner, weder China-Sieger Rosberg noch die beiden McLaren.“
Sebastian Vettel - Seine außergewöhnliche Karriere in Bildern
Sebastian Vettel - Seine außergewöhnliche Karriere in Bildern
Besonders Räikkönen war die größte Gefahr für Vettels Sieg. Der Finne präsentierte sich in Bestform in Bahrain. Er fuhr so, als sei er nie die letzten beiden Jahre in der Rallye-WM tätig gewesen. Im Gegenteil: Der pure Racer ist im Gegensatz zu früher lernfähig – und sein Speed hatte ebenfalls mit den Reifen zu tun. Weil er beim Rennen in China in den letzten Runden mit zu sehr gebrauchten Reifen einbrach, verzichtete er diesmal gegen den Willen des Teams auf einen besseren Startplatz als Position elf. So sparte sich der Finne drei Sätze frische Reifen. „Das war der Schlüssel für den zweiten Platz“, analysierte Kimi, „denn der Unterschied zwischen angefahrenen Reifen und brandneuen ist im Rennen immens. Neue Reifen sind in den ersten Runden nicht nur bis zu einer halben Sekunde schneller pro Runde, sondern sie halten auch wesentlich länger.“
Die Piloten sind sich nicht einig, ob Pirelli mit seinen sensiblen Mischungen einen guten Job gemacht hat. Michael Schumacher kritisiert: „Du darfst nur noch mit 60 Prozent um die Kurven fahren, sonst fliegt dir der Reifen um die Ohren. Ich weiß nicht, ob die Reifen wirklich eine so große Rolle bei einem Rennen spielen sollen.“ Richtiges Racing sei das nicht mehr. Teamkollege Nico Rosberg dagegen sagt: „Das richtige Haushalten mit den Reifen, das Langsamfahren und damit Schonen der Pneus gehört dazu. Für mich ist es eine Riesenherausforderung.“
Und das ist es auch für Mercedes, das allerdings zu fixiert auf eine Asphalttemperatur von 25 bis 30 Grad ist. In diesem Fenster funktioniert der Silberpfeil optimal – und dann ist das Auto auch siegfähig. Bei den Testfahrten übernächste Woche in Mugello will Mercedes mit neuen Teilen nachrüsten, um das sensible Temperaturfenster zu erweitern – schaffen sie das, wird Rosberg zum ernsthaften WM-Kandidaten.