Dopingrozess Holczer vs. Schumacher
"Wir müssen an der Moral arbeiten!"
München - Was bringt der Betrugsprozess um Stefan Schumacher und den Ex-Gerolsteiner-Chef Hans-Michael Holczer noch? Die tz sprach mit der Juristin Sylvia Schenk, Ex-Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer.
Aufarbeitung, Hintergründe, Namen – mit großen Erwartungen überfrachtet startete letzten Mittwoch der Betrugsprozess um Stefan Schumacher und den Ex-Gerolsteiner-Chef Hans-Michael Holczer. Letzterer fordert von Schumacher 150 000 Euro, weil dieser ihn durch sein Doping betrogen haben soll. Holczer könne nicht von ihm betrogen worden sein – denn er müsse vom Doping gewusst haben und habe es geduldet, entgegnet Schumacher. Am Mittwoch findet der zweite Verhandlungstag statt. Die tz sprach mit der Juristin Sylvia Schenk, Vorstandsmitglied von Transparency International und Ex-Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer.
Schenk (schmunzelt): Die Wahrheit. Es könnte schwer werden für Herrn Holczer, nachzuweisen, dass er betrogen wurde. Außerdem ist es unter sportrechtlichen Aspekten sehr interessant, wie das Gericht reagiert und welche Schlussfolgerung es zieht.
Schenk: Schumacher hat einiges in die Öffentlichkeit gebracht. Und mir ist es schon immer schwergefallen zu glauben, dass jemand, der so lange im Geschäft ist und so nahe dran ist, nichts mitbekommen haben soll. Entweder hat Holczer seinen Job schlecht gemacht, oder…
Schenk: In der deutschen Öffentlichkeit wäre es eine Erschütterung, dass man selbst demjenigen, dem man bereit war zu glauben, nicht glauben kann. Zudem lenkt es den Blick endlich nicht nur auf die Athleten, sondern auch auf die Betreuer und Funktionäre. Dort wird der Druck aufgebaut, dort wird weggeschaut und in manchen Fällen vermutlich sogar unterstützt.
Schenk: Unabhängig von irgendeinem Verdacht gibt es zwei unbestrittene Fakten: Es gab zwei nicht klar erläuterte Geldzahlungen von Lance Armstrong an die UCI in einem Zeitraum, in dem es auffällige Proben von Armstrong gab. Dann hat die UCI Armstrong im Januar 2009 eine Ausnahmegenehmigung für sein Comeback erteilt, obwohl er noch nicht wieder ein halbes Jahr im Antidopingsystem geführt wurde. Ein völlig falsches Signal. Ein Verband wie die UCI muss zu 150 Prozent die Regeln einhalten.
Schenk: Ja, aber unabhängig vom Einfluss der Verbände: Wir haben weltweit nicht die gleiche Konsequenz in der Dopingverfolgung, wie z. B. in Deutschland. An einige Athleten kommt man nur sehr schwer heran. Außerdem gibt es Schlupflöcher im Kontrollsystem.
Schenk: Die Nationale Anti-Doping Agentur macht intelligente und im Vergleich häufige Kontrollen. Noch mehr Kontrollen steigern nicht automatisch den Abschreckungseffekt. Um zu garantieren, dass ein Athlet absolut sauber ist, müsste man rund um die Uhr eine Kontrollperson neben ihn stellen. Kontrollen sind nur Mosaiksteine mit begrenztem Wert. Wir müssen mehr am Umfeld und der Moral arbeiten und den Druck nehmen.
Schenk: In der Anfang des Jahres veröffentlichten anonymen Befragung der Sporthilfe „Dysfunktionen des Spitzensports“ gaben 5,9 Prozent der Aktiven an, regelmäßig zu Dopingmitteln zu greifen. 40 Prozent haben auf die Frage gar nicht geantwortet, das werden nicht die besonders Sauberen sein. Insgesamt hatten wir 2011 aber nur 0,7 Prozent positive Proben.
Schenk: Etwas Ähnliches gab’s 2007. Damals unterzeichneten alle Tour-de-France-Starter eine Antidoping-Erklärung der UCI. (Anm. d. Red.: Die Tour gewann der mittlerweile überführte Alberto Contador. Zudem wurden die Stars Alexander Winokurow, Michael Rasmussen und Iban Mayo erwischt.)
Schenk: So schlimm wie zu Armstrong-Zeiten scheint es nicht mehr zu sein. Aber darauf darf man sich nicht ausruhen, das hohe Risiko bleibt, und warum sollten die jungen Fahrer, die heute in den Radsport wachsen, ethisch einwandfreier sein als die vor zehn oder 15 Jahren, wenn sich das Umfeld nicht ändert?
Schenk: Selbst wenn man sich auf ein Gesetz verständigen könnte, würde es zwei, drei Jahre dauern, bis es in Kraft tritt. Die ganze Diskussion lenkt leider davon ab, zu klären, was man jetzt sofort verbessern könnte.
Interview: Mathias Müller