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Münchner Bergsteiger David Göttler über Everest-Ansturm: „Das hat mit Alpinismus nichts zu tun!“

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Von: Nico-Marius Schmitz

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David Göttler
War alleine auf dem Gipfel des Mount Everest: David Göttler. © Foto: David Göttler

München – Unsere Zeitung erreicht David Göttler (44) – natürlich – in den Bergen. Auf der Theodulhütte auf 3317 Metern, unterhalb des Matterhorns. Im Interview spricht der Münchner Alpinist über den Ansturm auf den Everest (8849 m), seine eigene Besteigung auf den höchsten Punkt der Erde und Tourismus in den Bergen.


David Göttler, was ist für Sie Alpinismus?

Das ist ein relativ breites Gebiet, wie man sich in den Bergen bewegt. Dazu gehört für mich selbstständig und eigenständig in den Bergen unterwegs zu sein, in kleinen Teams mit maximal vier Leuten. Wenn wir auf das Expeditionsbergsteigen schauen, ohne zusätzliche Hilfsmittel wie Sauerstoff.

Jedes Jahr werden zum Start der Everest-Saison wieder Bilder vom Stau auf dem höchsten Berg der Welt gezeigt. Der Ansturm hat auch damit zu tun, dass die Besteigung durch Sherpas und Sauerstoff deutlich erleichtert wird.

Absolut. Und das hat auf alle Fälle gar nichts mit Alpinismus zu tun, was wir am Everest sehen. Zu 98 Prozent sind das einfach geführte Besteigungen. Ich war ohne Sauerstoff und Sherpas am Gipfel, würde das aber auch nicht als Alpinismus bezeichnen. Ich habe Fixseile benutzt und musste keinen Meter eine eigene Spur legen. Trotzdem war das natürlich ein komplett anderer Stil. Nur zwei Prozent der Besteigungen am Everest werden ohne Sauerstoff gemacht. Die Menschen, die dort mit allen möglichen Hilfsmitteln unterwegs sind, nehmen den Berg natürlich anders wahr. Daher braucht man sich nicht wundern, dass die Erfolgsquote recht hoch ist, auf den höchsten Punkt zu kommen.

Bei Ihrer erfolgreichen Everest-Besteigung 2022 hatten Sie keinen Sauerstoff dabei, es gab Haribo als kleines Doping.

Es gibt kein Regelbuch für das Expeditionsbergsteigen. Es liegt an uns Bergsteigern, alles ehrlich und transparent zu dokumentieren. Ich habe damals einen Freund in Lager vier getroffen, der hat mir eine halbe Packung Haribo angeboten.
Für mich war das echt ein Zwiespalt, weil ich keine äußere Hilfe annehmen wollte. Letztlich konnte ich aber nicht widerstehen (lacht). So banal das klingt, war es für mich wichtig, sofort zu kommunizieren, wo ich externe Hilfe angenommen habe. Ich habe das Bergsteigen mit Sauerstoff ja mal mit dem E-Bike verglichen. Natürlich kann man die Tour de France auch mit dem E-Bike abradeln und dasselbe empfinden wie ein Top-Radfahrer, aber es ist halt einfach was anderes.

Was wünschen Sie sich?

Im Expeditionsbergsteigen müssen wir ehrlicher beschreiben, wie wir was machen. Top-Manager haben immer gerne eine Everest-Besteigung in ihrem Profil stehen. Die nächste Frage sollte dann aber lauten: Warst du mit oder ohne Sauerstoff oben? Die Herausforderung, die uns die Natur dort oben mit wenig Sauerstoff stellt, muss man ehrlich annehmen. Dann würden auch viele merken: Oh, jetzt ist aber Schluss ab 6000 Metern. Und es wäre automatisch auch nicht mehr so überfüllt.

David Göttler
David Göttler. © Foto: Dumas

2019 sind Sie 100 Meter unter dem Gipfel umgekehrt. Auch damals gab es Stau.

Es waren einfach zu viele Menschen dort oben unterwegs. Ich sage auch ganz explizit Menschen. Weil ich mich schwer tue, sie als Bergsteiger zu bezeichnen, nur weil sie Steigeisen anhaben. Ohne Sauerstoff und Sherpas kann ich es mir nicht erlauben, mich dorthin zu stellen und den Stau abzuwarten. Ich habe es aber nie verurteilt, dass dort so viel los ist. Das weiß man einfach, das muss man einkalkulieren.

454 Menschen wollen dieses Jahr auf den Everest. So viele wie nie zuvor. Die Agenturen und Sherpas leben natürlich auch von diesem Geschäft und möglichst vielen erfolgreichen Besteigungen.

Ich würde den Tourismus der Nepalesen auch niemals verurteilen. Ich hoffe nur, dass wir ihnen zeigen können, wie man das Ganze von Anfang an nachhaltig gestalten kann. Dass sie nicht dieselben Fehler machen wie wir in den Alpen. Bei uns ist alles verbaut. Aber dem ärmsten Land der Welt zu sagen „Hey, macht mal ein bisschen weniger Geschäft“, ihnen das vorzuschreiben, kommt mir sehr zynisch vor. Während wir gleichzeitig versuchen, auch noch den letzten Cent aus den Alpen rauszumelken.

Denken Sie noch oft an den Moment zurück, als Sie auf dem höchsten Punkt der Erde standen?

Das Schöne am Berg ist, dass ihn jeder für sich selbst finden kann. Für manche ist der Münchner Hausberg vielleicht schon wie der Everest. Das Wechselspiel mit der Natur gibt mir unheimlich viel. Ich war 2013 am Makalu am Gipfel. Dann hatte ich eine Durststrecke. Ich habe auf den Expeditionen unheimlich viel gelernt, aber war nie ganz oben. 2022 im dritten Anlauf dann auf dem Everest zu stehen trägt einen über viele Jahre, in denen man vielleicht wieder nirgendwo hochkommt. Der Moment ist nicht so, wie ihn sich vielleicht viele vorstellen. Man fängt nicht an zu jubeln oder zu singen. Weil man weiß, dass man auch wieder runter muss. Es ist nur die Halbzeit, oben zu sein. Ich hatte das Glück, ganz alleine auf dem Gipfel zu sein. Das ist unbeschreiblich. Ich war in meiner eigenen Welt.

Interview: Nico-Marius Schmitz

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