Die Ausnahmen: Bei diesen Tech-Branchen ist China abhängig von Deutschland

China ist von deutscher Hightech abhängig – und zwar in einem solchen Maß, dass eine unmittelbare Entkopplung sehr schmerzlich wäre. Gerade bei IT-Anwendungen sind deutsche Anbieter wie SAP unentbehrlich.
Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 23. Mai 2023.
Die zunehmende Abhängigkeit der deutschen Industrie von chinesischer Technologie ist offensichtlich. Auch wenn es eine ausführliche Debatte gibt, wie tief die Abhängigkeit tatsächlich ist, zeichnet sich eines deutlich ab: Deutschland und der Westen werden eher abhängiger.
Was wir dabei allerdings übersehen: Auch China ist von deutscher Hightech und Software abhängig, selbst in zentralen IT-Bereichen. Ein Beispiel sind die ERP-Systeme des deutschen Softwarekonzerns SAP. ERP (Enterprise Ressource Planning) ist ein Softwaresystem, das Unternehmen effizienter macht, weil es hilft, besser zu automatisieren. Das ERP-System kann beispielsweise in Finanzen, dem Personalwesen, der Fertigung, den Lieferketten, bei Dienstleistungen, aber auch in der Beschaffung die Effizienz erhöhen.
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Beispiel 1: Ressourcenplanung von SAP
Für ein Unternehmen ist eine solche Software zentral. ERP von SAP automatisiert und verbindet Geschäftsprozesse innerhalb eines Unternehmens. Alle essenziellen Informationen laufen also über diese Anwendung. SAP spielt daher eine zentrale Rolle für die Prozesse.
Rund 35 Prozent der chinesischen Unternehmen benutzen heute die ERP-Anwendung von SAP, vor allem in der Produktion (41 Prozent). Auf Platz zwei kommt die Kommunikationsindustrie. Unter Großunternehmen in China ist SAP sogar Marktführer mit einem Marktanteil von 33 Prozent. Es folgt das US-Unternehmen Oracle mit einem Marktanteil von 20 Prozent. IBM hat noch acht Prozent.
Beispiel 2: Designsoftware von Siemens
Das bedeutet: Über 60 Prozent der Organisationssoftware aller großen chinesischen Unternehmen kommt von europäischen und amerikanischen Anbietern. Bei den kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht so viel Geld für Softwarelösungen ausgeben, ist allerdings schon das Pekinger Unternehmen Yonyou Marktführer mit einem Anteil von 30 Prozent. Doch auch in diesem Bereich spielt SAP mit einem Marktanteil von immerhin 15 Prozent weiter eine wichtige Rolle. Oracle hat sechs Prozent. Sein US-Wettbewerber Infor fünf Prozent. Chinas ERP-Markt wuchs im Jahr 2021 allerdings um 13 Prozent auf 5,6 Milliarden US-Dollar.
Bei der CAD-Software des Ingenieurskonzerns Siemens sieht es ähnlich aus. Siemens ist mit seiner Designsoftware der zweitgrößte Anbieter in China. Auch die Industriekontrollsysteme des Unternehmens sind tief in Chinas kritischer Infrastruktur verwoben.
Beispiel 3: Chips von Infineon
Ähnlich sieht es bei Halbleitern aus. Der deutsche Konzern Infineon ist der führende Chip-Hersteller der Autoindustrie. China steht für 29 Prozent der Einnahmen des Unternehmens, mehr als Japan, die USA und Deutschland zusammen. Es wird allerdings nicht aufgeschlüsselt, wie hoch der Anteil chinesischer Unternehmen im Vergleich zu ausländischen Unternehmen vor Ort ist.
Klar ist jedoch: Ein Großteil der chinesischen Autoindustrie vertraut deutschen Chips. Das bedeutet: Auch die Chinesen sind erst einmal von Software und Chips aus Deutschland abhängig. Sicherlich wird die Abhängigkeit mit der Zeit geringer. Aber sie wird nicht von heute auf morgen verschwinden, vor allem wenn es die deutsche Softwareindustrie schafft, weiter vorne mitzuspielen, was nicht an den Chinesen liegt, sondern an unserer eigenen Innovationskraft.
Allein sind beide langsamer
Das Wort „Abhängigkeit“ mag negativ klingen, doch es hat auch eine positive Dimension, wenn Volkswirtschaften so eng verzahnt sind. „Gegenseitige Marktanteile oder besser noch Kooperation in sensiblen Softwarebereichen sind die beste Versicherung gegen Missbrauch“, sagt Hans Uszkoreit, wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz, „viel besser als aufwändige Kontrollen oder gar ein Verbot“.
Der Trend, sich von dem jeweiligen Know-how zu entkoppeln, führe hingegen dazu, dass „Deutschland und Europa in die Defensive geraten“, sagt der Veteran der KI-Forschung, der auch beim chinesischen Computer-Hersteller Lenovo gearbeitet hat. Die Technik entwickelt sich derzeit in China schneller als in Europa. Sie kann die westlichen Wettbewerber aber mitziehen, wenn sie vor Ort vertreten sind. Uszkoreit ist ein Vorkämpfer für deutsch-chinesische Kooperationen.
Sanktionen zwingen China zu Eigenentwicklungen
Die westlichen Sanktionen erhöhen hingegen den Druck zur Eigenständigkeit: Im April hat der Kommunikationskonzern Huawei bekannt gegeben, eine eigene ERP-Software entwickelt zu haben, weil das System von Oracle wegen der US-Sanktionen nicht mehr genutzt werden konnte. „Wir waren vor drei Jahren vom alten ERP-System und anderen zentralen Betriebs- und Managementsystemen abgeschnitten“, sagte Vorstand Tao Jingwen.
Huawei hat sich so von der westlichen Software abgekoppelt. „Heute sind wir stolz, bekannt zu geben, dass wir diese Blockade durchbrochen haben, wir haben überlebt.“ Es sei „das umfangreichste und komplexeste Transformationsprojekt, das Huawei jemals durchgeführt hat“. Huawei schließt nicht aus, das System auch an Dritte zu vermarkten. (Von Frank Sieren)